Wir drucken den Krautreporter

Krautreporter ist ein digitales Magazin, unabhängig und werbefrei, ermöglicht ausschließlich von tausenden Mitgliedern. 

Alles online, jeden Morgen frisch. Dazu viele gut recherchierte Geschichten (heute „long reads“ genannt), die an Aktualität nichts einbüßen, leider aber schnell vom Bildschirm verschwinden. So praktisch es ist, kein Altpapier zu erzeugen, so wenig ergibt sich die Überraschung wie beim Zeitunglesen, dass man einen Artikel findet, nach dem man nicht gesucht hatte und von dem man nicht wusste, dass er einen interessiert. Aktuelle Nachrichten auf Papier mögen überflüssig sein, aber alles mit einem längeren Halbzeitwert lässt sich gedruckt besser lesen. Nicht alle Krautreporter Mitglieder sind davon überzeugt, dass es noch bedrucktes Papier braucht, aber einige tausend von ihnen schickten ihre Postanschrift auf die Ankündigung, dass wir eine Ausgabe drucken wollten – auf Zeitungspapier, unpraktisch, viel zu groß und beim Erscheinen überholt.

Unsere Motivation für dieses völlig verrückte und überflüssige Vorhaben war es, die riesige Johannisberger Schnellpresse von 1924 nach ihrer Überholung an einem richtigen Produkt zu testen. Ich schlug den Freunden bei Krautreporter vor, wenigstens einmal ein Riesenblatt zu drucken und zu meiner Überraschung sagten sie sofort und begeistert zu. Die Geschichte ist hier aufgeschrieben.

Neben der Johannisberger, die Papier bis zu 130×96cm bedrucken kann, haben wir bei den Lettertypen noch etliche andere alte Buchdruckmaschinen, vor allem einen Heidelberger Zylinder. Da es weder technisch noch finanziell tragbar ist, wie im klassischen Buchdruck von originalen Bleischriften zu drucken, haben wir uns einen Laserbelichter gebaut. Damit können wir Druckplatten aus Polymer direkt von Daten belichten, ohne den Umweg über ein fotografisches Negativ, wie das mit dem Nyloprint-Verfahren schon lange möglich ist. Für den Suhrkamp Verlag haben wir auf diesem Weg sieben Bücher gedruckt, die Edition Letterpress, gewissermaßen als „proof-of-concept“.

Um zu zeigen, was in der alten Maschine steckt, wollten wir die Papiergröße ausreizen und wählten das klassische Nordische Format von 44×57cm, in dem bis heute u. a. noch die FAZ erscheint. Ein Bogen mit vier Seiten ist dann 88×114cm groß. Doppelseitig bedruckt ergibt das acht Seiten. Wenn man diesen Bogen in die Hand nimmt, muss man schon die Arme ausbreiten. Nicht praktisch, aber das genaue Gegenteil eines Handy-Bildschirmes. Und darum ging es ja.

Die Entstehungsgeschichte dieses Projektes gibt es nachzulesen, natürlich auf Krautreporter. Es hat alles viel länger gedauert, als wir dachten, von den Kosten ganz zu schweigen. Aber das Motto bei p98a, unserer typografischen Werkstatt, ist „Erhalt durch Produktion“. Was nützt es, wenn die ohnehin unzerstörbaren Maschinen im Museum stehen, abgesperrt mit dem Hinweis „Bitte nicht berühren“? Bald sind alle Fachleute tot, die noch wissen, wie man sie bedient. Im Umgang mit der technischen Geschichte im Lande Gutenbergs sind die Fertigkeiten und das Handwerk mindestens ebenso wichtig wie der Erhalt der Hardware. Also drucken wir im Buchdruck, lassen Schriften aus Blei gießen, schneiden große Buchstaben aus Holz und erwecken alte Maschinen zu neuem Leben. In der täglichen Produktion erfahren wir dann, wie sie funktionieren und warum. Finanziellen Gewinn erwarten wir nicht, aber wir produzieren trotzdem nach kommerziellen Gesichtspunkten, weil alles andere Augenwischerei wäre. Wir sind keine Bilderstürmer oder Romantiker, deshalb bauen wir digitale Laserbelichter und experimentieren mit allen möglichen neuen Prozessen und Werkstoffen.

Der gedruckte Krautreporter, für den Versand als Streifbandzeitung gefaltet.

Der Film zeigt Daniel Klotz, der das letzte halbe Jahr damit zugebracht hat, die Johannisberger zu bezwingen und auf ihr den Krautreporter zu produzieren. Wir haben insgesamt 6000 Blatt gedruckt, beidseitig, zusätzlich rot auf einer Seite, also insgesamt 18.000 Drucke. Unser Freund und Kollege Sebastian, gelernter Offsetdrucker, hat geholfen, wann immer er Zeit fand.

37 comments

  1. Besonders, weil die Schriften

    günstig zu erwerben sind:

    Fonts: TT Norms Pro Medium & TT Norms Pro Bold

  2. Oja, auch das noch:

    »URW wird ein Teil von Monotype

    Liebe Kunden.

    Vielleicht haben Sie es bereits der Fachpresse entnommen: URW gehört jetzt zu Monotype, einem der größten Schriftanbieter und -entwickler weltweit. Mit über 500 Mitarbeitern entwirft und vertreibt Monotype nicht nur Exklusivschriften und Originale (zuletzt Macklin®, Ambiguity, Helvetica® Now, Neue Frutiger® World oder Tazugane Gothic™), sondern …«

    1. Zuletzt war es ja FS so ergagnen:

      “We’re extremely excited to announce that Monotype has acquired Fontsmith, an innovative boutique font foundry in London.”

      https://www.monotype.com/resources/monotype-acquires-fontsmith

      Auch die Zeitschrift PAGE berichtete mit Bedauern darüber. Aber auch
      schon als FontShop an Monotype gegangen ist. Wann geht das Kartellamt
      endlich gegen solcherart Monopolverbrecher vor?

    1. Ups, da steht jedesmal ein anderer!

      You cannot not communicate. – Paul Watzlawick
      An dieser Uni hieß es: You cannot not communicate. – Erik Spiekermann

      Um diesen ist
      es gegangen.

    1. Hans

      Gibt es dabei nicht die übliche
      Verzerrung, die in normalen
      Programmen immer als fürchterlich
      gegolten hatten, wenn man
      händisch schräg bzw. auf fett stellte?

    2. Oje!

      Der Link führt nicht mehr zum ursprünglichen Ergebnis.
      Sind die Variable-Sets verschwunden?

    1. erik Spiekermann

      Wortabstand kann man in Indesign sehr wohl ändern. Geht bei der Satzart (ich habe nur das englische Programm, da ist es Justification). Da gibt man Mindest- , Optimum- und Maximalwortabstände ein. Vorgegeben ist immer 100%, was dem Normalwortabstand in der Schriftdatei entspricht, was aber meistens zu groß ist

    1. erik

      die Fakten sind großenteils richtig, aber schon sehr tendenziös dargestellt. Wie würden Schriftdesigner leben, wenn ihre Arbeit nicht bezahlt würde? Natürlich gibt es viele dumme und wenig originelle Schriften, aber wir brauchen und kriegen auch gute, neue, technisch hervorragende Fonts, deren Gestalter ein Honorar verdient haben. Man könnte auch sagen, dass Musik immer nur die gleichen 8 Töne variiert und deshalb nichts Neues dabei herauskommt.

  3. Wer druckt noch Jelinek, Artmann & Co.?

    http://elfriedejelinek.com/andremuller/h%20c%20artmann.html
    Sind Bücher tatsächlich ein Auslaufmodell?
    Obwohl bei der letzten Buchmesse erwähnt
    worden ist, dass der Handel nach wie vor
    funktioniere? Dann hört man wieder im
    Gegensatz dazu, dass sich außer Kinder-
    büchern kaum noch was verkaufen ließe.

    Was stimmt nun?

    1. erik

      In den USA hat 2018 der Verkauf von Büchern (meistens Hardbacks) um ca.4% zugelegt. IN Großbritannien ebenfalls. Der Trend geht zu aufwendiger produzierten und gut gestalteten Büchern

      1. Der beste Markt solle Island sein:

        prozentual an den Bürgern gemessen!
        Leider sind 1018 dort nur 357.050 Einwohner gezählt worden.

  4. Guido

    Wie es schmatzt, atmet und pumpt – einfach wunderbar! Ich kann es förmlich riechen und fühle mich an meine Lehrzeit erinnert. Erhaltet weiterhin Maschinen und Prozesse. Gott grüß die Kunst!

  5. Der Kanalmann

    Suche seit Jahren nach dem geeigneten Nachwuchs. Nachdem René Bieder bezüglich einiger Kritik verunsichert ein „Ich muss ja noch lernen“ von sich gab, ein Connary Fagen sich entwickelt, denke ich, abgesehen von Akira Kobayashi, Christian Schwarz und einigen wenigen anderen, dass es Paulo Goode bald geschafft haben wird.

    Was meinen Sie?

  6. Ein Anspruch, den jeder zu erfüllen glaubt:

    Was Krautreporter anders macht

    »Viele Menschen beschäftigt ein Problem: Wir sind besser informiert als je zuvor, aber wir verstehen immer weniger. Wir sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr.«

    Unsere Reporter arbeiten mit der Ruhe und Sorgfalt, die nötig sind, um ein Thema wirklich zu duchdringen.

    Leider schaffen das Journalisten auch mit mehr Zeit kaum; es fehlt an Bildung, Bildung & Ausbildung. Und zwar systemübergreifender. Wer VWL nicht versteht, kann die Menschenwelt nicht begreifen, basta. Dr. rer. oec. Kurt E.

  7. KLARTEXT

    Ein tolles Projekt – bin begeistert! Weiter so!

  8. Gegen den Digitalisierungswahn: Kurt

    Aktuelle Nachrichten auf Papier mögen überflüssig sein, aber alles mit einem längeren Halbzeitwert lässt sich gedruckt besser lesen.

    Haben Sie nicht mal irgendwo erwähnt, dass Bildschirmschriften, werden sie oft gelesen, schlecht für die Augen sind? Das sollte natürlich in Umlauf! Immerhin verfallen immer mehr Regierungen dem WAHN, dass man Schulen stärker digitalisieren sollte.

    Zurkenntnisnahme: In Südkorea sollen über 90 % der Jugendlichen massive Sehprobleme haben.

    Erkenntnis: Meine Kinder haben digital nicht erzogen zu werden!

    1. Die 800 Büchern und x Videos ist es schwierig, dass die Erinnerung immer richtig ist:

      Während dieses Vortrages wird erklärt, wie
      unser Hirn funktioniert, wie es entsteht …

      Und während dieses Videos wird auch das Problem
      erklärt, dass durch Computernutzung entsteht und
      weshalb das so ist. Aber: Sie müssen Geduld haben,
      dies zu verstehen, das Video ist lang!

      Es bestätigt einfach Ihre Aussage, die ich mal wo auf-
      geschnappt habe, wenn ich mich richtig erinnere.
      Diese Erinnerung hoffe ich, passt auch zu meiner
      Kernaussage bezüglich dieses Videos, weil ich’s nicht
      nochmals ansehe, aber ich denke, dass genau diese
      Erklärung darin zu finden ist. – Wenn ich mich richtig
      erinnere!

    2. Curd

      » In Südkorea sollen über 90 % der Jugendlichen massive Sehprobleme haben.«

      Das wird allerdings dem Handybenutzen zugeschrieben.

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