Von Hollywood lernen

Wie so oft, fielen mir auch diesmal beim Ausmisten der überlaufenden Festplatte einige Texte in die Hände bzw. unter die Maus, die vielleicht auch in einem anderen Zusammenhang lesbar sind. Den folgenden hatte ich 2003 für meine Kolumne in der Zeitschrift form geschrieben. Das Thema der Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen ist heute akuter denn je, deshalb hier die Wiederholung:

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Über technische Dinge wie Software, Datenformate und Speichermedien kann man kaum schreiben, weil jede Zeile überholt sein wird, bevor sie gedruckt ist. Eins aber wissen wir genau: Menschen wollen lesen, in Magazinen blättern, Überschriften überfliegen; sie möchten unterhalten, überrascht, aufgeklärt werden. Wer nur gefahrlos zwei Stunden älter werden will, bleibt beim Fernsehen. Wer mehr will, der liest online, surft: geht ins Internet, wie viele noch sagen. Wo sich vor nicht allzu langer Zeit eine öde Pixelwüste lieblos aufbereiteter Daten erstreckte, ist ein Medium entstanden, das eines unserer Grundbedürfnisse erfüllt, das nach dem Geschichtenerzählen. Heute wird das Storytelling genannt, bedeutet aber nichts anderes als das, was die Gebrüder Grimm schon dem Volke vom Munde abschrieben.

Wir haben das starke Bedürfnis herauszufinden, wie es unseren Zeitgenossen ergeht. Gehen wir ins Kino, weil wir Angst haben dumm zu sterben? Gehen wir in die Oper oder das Theater um unseren Smoking aufzutragen? Lesen wir Bücher, weil wir dafür bezahlt werden? Nein, wir machen es, weil wir wissen wollen, wie andere Leute mit ihrem Leben fertig werden oder an ihm leiden wie wir alle.

Die klassischen Geschichten von Liebe, Ruhm und Leid sind bekannt, seit die Griechen Schauspieler dafür bezahlt haben öffentlich aufzutreten. Und obwohl von Kurosawa über John Ford bis Wim Wenders diese Stories viele tausend mal nacherzählt worden sind, können wir nicht genug kriegen. Eine gigantische Industrie lebt davon, die alten Sachen immer wieder neu zu verpacken und damit unser Verlangen nach Geschichten zu befriedigen. Diese Industrie, als deren Inbegriff Hollywood gilt, ist dabei, sich mit den Geschichtenerzählern zu vereinen, deren Medium noch das Papier ist. Zusammen werden diese neuen Unternehmen nicht nur Pixel von ihren Servern auf unsere Endgeräte schaufeln, sondern die Lieferanten sein für unsere Vorstellungen, Hoffnungen und Träume ebenso wie für Zahlen und Fakten.

Eine gute Website muss heute auch eine packende Geschichte erzählen, sonst vertreibt sie alle außer abgebrühte professionelle Datensammler. Und wie der gewöhnliche Kinobesucher nichts wissen will über Beleuchtung, Maske oder Schneideräume, interessiert sich kein Websurfer dafür, ob die Designer coolen Code schreiben, tolle Photoshopfilter kennen oder komplexe Datenbanken hacken. Sie wollen nur von einer spannend erzählten und gut dargestellten Geschichte gepackt werden.

Der Film hat es geschafft, unzählige Metiers unter einen Zweck zu vereinen, und was dort geklappt hat, wird auch im Web funktionieren. Wie in der Filmindustrie müssen die Produzenten dafür Teams von Spezialisten zusammenstellen. Wir wissen zwar aus Erfahrung, dass Programmierer und Gestalter nicht unbedingt gerne im gleichen Raum arbeiten. Unsere Eitelkeiten, Vorlieben und vorgeschobenen technische Erfordernisse interessieren aber keinen Nutzer. Wir müssen uns zusammenraufen, sonst schalten alle ab vorm Happy End.

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Es hat zwar nichts mit dem Thema zu tun, aber immer, wenn ich das Wort Happy End höre, fällt mir Tucholsky ein:

 

Kurt Tucholsky
Danach

Es wird nach einem happy end
im Film jewöhnlich abjeblendt.
Man sieht bloß noch in ihre Lippen
den Helden seinen Schnurrbart stippen-
da hat sie nun den Schentelmen.
Na, und denn-?

Denn jehn die beeden brav ins Bett
Naja…..diß is ja auch janz nett.
A manchmal möchte man doch jern wissen:
Wat tun se, wenn se sich nich kissen?
Die könn ja doch nich immer penn…..!
Na, und denn-?

Denn säuselt im Kamin der Wind.
Denn kricht det junge Paar ‘n Kind.
Denn kocht se Milch. Die Milch looft üba.
Denn macht er Krach.Denn weent sie drüba.
Denn wolln sich beede jänzlich trenn…..
Na, und denn-?

Denn is det Kind nich uffn Damm.
Denn bleihm die beeden doch zesamm.
Denn quäln se sich noch manche Jahre.
Er will noch wat mit blonde Haare:
vorn doof und hinten minorenn….
Na, und denn-?

Denn sind se alt.
Der Sohn haut ab.
Der Olle macht nu ooch bald schlapp.
Vajessen Kuß und Schnurrbartzeit-
Ach, Menschenskind,wie liecht det weit!
Wie der noch scharf uff Muttern war,
det is schon beinah nich mehr wahr!
Der olle Mann denkt so zurück:
wat hat er nu von seinen Jlück?
Die Ehe war zum jrößten Teile
vabrühte Milch und Langeweile.
Und darum wird beim happy end
im Film jewöhnlich abjeblendt.

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