Wir sind immer noch auf Typografie angewiesen. Wenn es darum geht, unscharfe Eindrücke in Informationen zu wandeln und daraus – Verstehen vorausgesetzt – Wissen zu formen, ist der Umgang mit Schrift nach wie vor gefordert.
Ein Artikel für die Mitarbeiterzeitschrift eines großen deutschen Unternehmens, 2001.
Typografie – die spröde Geliebte
Auch unsere Lesegewohnheiten sind inzwischen vom „Zapping“ geprägt. Nicht nur durchs Fernsehen, auch durch Zeitschriften und Zeitungen springen wir von Eindruck zu Eindruck, und was uns nicht innerhalb weniger Sekunden anspricht, hält uns nicht fest. Manchen Bildern kann man dabei nicht entkommen, weil Bilder emotional wirken – auf den ersten Blick oder nie. Wenn es aber darum geht, unscharfe Eindrücke in Informationen zu wandeln und daraus – Verstehen vorausgesetzt – Wissen zu formen, sind wir immer noch auf Typografie angewiesen. Typografie, das ist die Inszenierung einer Mitteilung in der Fläche, so die kürzeste Definition, die ich kenne. Ob Bildschirm oder die Magazinseite, ob Lesetext oder Webseite mit animierten Zeilen – typografische Kriterien bestimmen das Zusammenspiel der Elemente.
Spröde ist Typografie, weil sie am besten ist, wenn niemand sie wahrnimmt. Keinen Preis gewinnen Gestalter, wenn sie hinter der Mitteilung zurückbleiben und ihren Dienst am Leser bescheiden wahrnehmen. Nun muss sich diese Zurückhaltung nicht in langweiligen, grauen Textwüsten äussern, wie wir sie immer noch aus Publikationen kennen, die vorgeben, objektiv und seriös zu sein. Besonders Wissenschaftler und Ingenieure hegen großen Argwohn gegenüber jeder Gestaltung, die als solche erkennbar ist. Seriös muss aber nicht langweilig sein, und Häßlichkeit verkauft sich schlecht. Andererseits gibt es viel Gestaltung, die sich vor allem damit befasst, die Fähigkeiten des Gestalters am Computer darzustellen und dabei weder dem Inhalt noch den Erwartungen der Leser gerecht wird.
Die gute Nachricht ist, dass den Autoren, die zum Lachen in den Keller gehen und diese Einstellung auf die Gestaltung ihrer Drucksachen übertragen, über kurz oder lang die Leser wegbleiben. Gerechterweise geschieht das auch den grafischen Pausenclowns, die jede Mode mitmachen. Sie brechen Regeln, die sie nie gelernt haben, und sich dabei keinen Deut scheren um Kommunikation.
Natürlich ist es nötig, die Gültigkeit der alten Regeln immer wieder zu hinterfragen. Erstaunlich ist jedoch, dass bei aller Bewegung, die in unsere Medien – technisch und inhaltlich – gekommen ist, die typografischen Regeln fast intakt überlebt haben. In fünfhundert Jahren haben wir Gewohnheiten entwickelt, die auch der Bildschirm nicht ignorieren kann. Schriften sehen immer noch so aus wie früher, zumindest für das ungeübte Auge. Der Freiraum für Schriftentwerfer ist klein, weil wir jede Überschreitung der Konvention sofort als Irritation wahrnehmen. Unbewußt natürlich, aber deshalb um so nachdrücklicher.
Die Textschrift dieses Magazins ist zum Beispiel gerade zehn Jahre alt, und die Headlinetype noch keine fünf. Beide drängen sich nicht in den Vordergrund, wirken aber frisch und unverbraucht. Sie verleihen dem Magazin seine Persönlichkeit. Diese Person kommt nicht nackt daher, sondern kleidet sich in ein Layout. Die Seitengestaltung macht sie unverwechselbar, aber nicht albern oder selbstgefällig. Wie ein Unternehmen muss auch eine Zeitschrift einen unverwechselbaren Charakter haben, eine Identität. Typografie ist das Handwerk, dass diese Identität sichtbar macht.
Immer wieder werde ich gefragt, ob denn Typografie eine Zukunft habe, wo doch immer mehr Bilder auf uns einstürmen, keiner mehr lange Texte lesen will und alles bewegt sein muss. Werden wir nicht bald nur noch Piktogramme lesen und kleine Filme sehen? Abgesehen davon, dass es noch nie so viele Bücher und Zeitschriften gab und dass wir auch am Bildschirm vor allem Schrift lesen, ist genau diese Bilderflut der Grund dafür, dass wir uns doch am liebsten auf das geschriebene Wort verlassen.
Das einzige, was sich wirklich geändert hat in den letzten Jahren ist die Tatsache, dass heute technisch alles möglich ist. Kein Gestalter kann sich mehr rausreden mit der Entschuldigung, etwas wäre nicht zu realisieren. Wir haben Zugriff auf alle Bilder, die es je gegeben hat und können neue schaffen, die kein Auge je gesehen hat. Zu den 30.000 erhältlichen Schriften kommen
täglich neue hinzu. Was wir gestalten, können wir sekundenschnell mit
atemberaubender Genauigkeit visualisieren und in alle Welt versenden.
Schrift ist das Kleid der Sprache. Solange wir nicht auf Grunzen und Gurgeln zurückfallen als Mittel menschlicher Verständigung, solange brauchen wir Schrift und Typografie, alle Nuancen darzustellen, derer wir fähig sind.