Da ruckt doch nix mehr

Gestalter Erik Spiekermann über ärgerliche Werbetexte, die müde Marke Deutschland
und die Generation Geiz im Interview mit dem Magazin der Frankfurter Rundschau.
Erschienen im August 2003.

Das Original ist hier: https://www.fr-aktuell.de/ressorts/magazin/das_gespraech/?cnt=266795&


Erik Spiekermann,
Gestalter und Lästerer
Berlin und San Francisco
Deutsche Gestalter von Rang treten bescheiden, leise, kühl auf, genau wie ihr Design. Also ganz anders als Erik Spiekermann. Der in Berlin lebende Gestalter und Schriftenerfinder gibt das charmante Großmaul seiner Gilde. Zuletzt bemäkelte er das krachfrohe Logo zur Fußball-WM 2006 in Deutschland (“eine Zumutung”). Ganze Städte fallen bei ihm in Ungnade ob ihrer miserablen Form (“Berlin ist eine ästhetische Beleidigung”). Notfalls stürmt er auch mal direkt ins Büro einer Unternehmensleitung, wenn er etwas besser machen will. So kamen die Berliner, zum Beispiel, nach dem Mauerfall zu einem praktischen, weil bestens benutzbaren Orientierungssystem für Busse und Bahnen. “Wenn mich etwas nervt, will ich das ändern”, sagt Spiekermann, geboren 1947, über seinen Antrieb. Das war schon zu Studienzeiten so. In Frankfurt am Main schuf er seine “ersten typografischen Arbeiten”: 1967 war das, und der
eifrig agitierende Spiekermann schrieb auf selbst gemalten Wandzeitungen gegen das Großkapital an, “die wichtigen Sachen in groß und Rot, das hatten wir aus Peking gelernt”. 1979 gründete er mit zwei Mitstreitern “Metadesign”, das bis in die 90er zum größten deutschen Design-Unternehmen expandierte. Zu den Kunden zählten seither Audi und Nike, der wissenschaftliche Springer-Verlag und die Berliner
Verkehrsgesellschaft, aber auch die Commerzbank und der Pharma-Riese Novartis.
Rührt den Altlinken manchmal das schlechte Gewissen? “Nö – nicht bei den rund 500 Arbeitsplätzen, die ich bisher geschaffen habe.” Es könnten bald wieder mehr werden: Nach dem – natürlich laut polternden – Ausstieg bei Meta baut der Altmeister der deutschen Schriftkunst in Berlin-Charlottenburg gerade seinen nächsten Laden auf, “United Designers”, einen Steinwurf weg von den alten Kollegen. Dort erzählte Spiekermann, der im Oktober mit dem bedeutenden Gerrit-Noordzij-Preis für seine Leistungen im Bereich Typodesign und Typografie ausgezeichnet wird, dem Magazin, was ihn derzeit in Deutschland so nervt. Es wurde ein etwas längeres Gespräch.
Das Interview führten Jörg Schindler und Thomas Wolff
Herr Spiekermann, Sie haben sich mal als eine Art “Design-Polizist” beschrieben …
Oje, den blöden Spruch kennen Sie?
Und – spielen Sie für uns mal Freund und Helfer?
Bitte.
Hier haben wir die Werbung für die neuen Rabatte der Deutschen Bahn, ohne Bilder, also reine Schrift, allerdings im gleichen Stil wie das Logo der Supermarktkette real. Macht sich die Bahn damit nicht billig?
Es zeigt erst mal an, dass es um Geld geht. Bei der real-Anzeige kann ich günstig Schweineschnitzel kaufen, bei der anderen günstige Reservierungen für die 1. Klasse. Das hat für die Bahn den Nachteil, dass es nicht gerade hochwertig aussieht.
Was für ein 1.-Klasse-Angebot komisch wirkt.
Genau das müssen die ändern. Aber sie arbeiten dran. Die müssen eben diesen Spagat schaffen, in verschiedenen Preisklassen glaubwürdig zu sein. Dagegen hat es real einfach, da geht es nur um günstig.
Und die Saturn-Kampagne “Geiz ist geil!” – gelungene Gestaltung, gutes Marketing?
Die ärgert mich ja nun fast jeden Tag. Wegen dieses blöden Spruchs würde ich nie zu Saturn gehen. Geiz ist eine der unangenehmsten menschlichen Eigenschaften, er zählt ja sogar zu den Todsünden. So was zum Feature einer Kampagne zu erheben, das kann nur einem Werber einfallen. Das ist gemein, richtiggehend unsozial. Und grottenhässlich dazu.
“Keine Kampagne traf den Zeitgeist besser”, behauptet Metro-Chef Hans-Joachim Körber, der diese Werbung abgesegnet hat.
Schlimm genug. Jede Gesellschaft hat die Werbung, die sie verdient. Aber wenn Geiz auf einmal gefragt ist, muss ich das doch nicht noch unterstützen.
Die Botschaft trifft doch aber bei den Deutschen einen Nerv. Alle jammern, alle müssen sparen …
Wir sparen ja nicht wirklich. Die Deutschen geben immer noch Geld aus wie die Weltmeister. Schauen Sie sich in großen Unternehmen um, egal ob staatliche oder private – und ich kenne inzwischen ziemlich viele Unternehmen von innen: Überall sitzen Leute rum, die für ihr Geld nichts tun. Die eine Hälfte der Belegschaft macht so gut wie nix, die andere arbeitet das Doppelte. Das Problem ist, rauszukriegen, welche Hälfte das ist. Genau wie in der Werbewirtschaft, wo der Unternehmer sagt: “Bei meinen Werbekosten hab ich immer das Gefühl, ich schmeiß’ die Hälfte des Geldes zum Fenster raus – ich weiß bloß nicht, welche.”
Trotzdem: Die Stimmung im Lande ist hin. Wer hat sie denn so versaut?
Niemand hat da etwas versaut – nur haben sich eben die Zeiten geändert. Ich bin Jahrgang ’47 und kann mich noch gut daran erinnern, wie das war, die abgelegten Klamotten meiner Geschwister aufzutragen. Ich weiß noch, dass wir beim Essen immer etwas für meinen Vater übrig lassen mussten, der Lastwagenfahrer war und spät nach Hause kam. Wir waren nicht arm, aber ich habe immer Hunger gehabt – es gab eben nie richtig viel. Eine Kugel Eis gab’s mal am Sonntag, für 20 Pfennige.
Ihre Generation, also die heute 30 bis 40-Jährigen, hat sich einfach daran gewöhnt, dass es alles irgendwo gibt. Das nehm’ ich niemandem übel. Aber daher kommt heute diese Verweigerungs-Haltung: Es ist eben nicht mehr alles einfach verfügbar, und dann ist Geiz auf einmal geil, und ich mach’ nur noch mein eigenes Ding.

Wie müsste man die Marke Deutschland heute gestalten und verkaufen, damit sich diese Haltung ändert?
Eine Marke funktioniert nur, wenn sie ehrlich ist. Sie kennen ja wahrscheinlich das Lied von Bob Dylan, in dem es heißt: Man kann die Hälfte der Zeit alle Leute bescheißen oder die Hälfte der Leute die ganze Zeit, aber nicht jeden immer. Sie können den Leuten nichts vorlügen. Deshalb gehen auch immer weniger an die Wahlurne, weil die der hübschen Verpackung der Parteien nicht glauben. Wenn etwas verändert werden muss, dann muss sich was ändern – da kann man nicht einfach an der Marke rumbasteln, das funktioniert nicht. So, wie eine Londoner Agentur vor ein paar Jahren mal den Versuch gemacht hat, die Farben der Bundesfahne zu ändern, damit wir eine fröhlichere Nation werden.
Und, hat’s funktioniert?
Ach wo. Die haben gesagt: Schwarz-Rot-Gold, das addiert sich zu braun, bisschen oll, da machen wir mal ein lustiges Fähnchen draus. Aus dem Schwarz haben sie Blau gemacht und das Rot ein bisschen aufgehellt. Damit sah die Fahne eher nach Rumänien aus, und dadurch wird im Land ja nichts besser.
Wie könnte es denn besserwerden?
Da bin ich bei meinem Lieblingsthema, der öffentlichen Hand, die ja in alle Lebensbereiche mit reinspielt. Dort gibt es niemanden, der Geschmack hat, niemanden, der weiß, dass es auch so etwas wie Kultur gibt. Deshalb bekommt bei Ausschreibungen immer der billigste Anbieter den Zuschlag. Da gibt es keine praktischen und schon gar keine kulturellen Kriterien. Und deshalb bekommen die immer wieder Dreck, weil Dreck am billigsten ist. Kein Anbieter, der so was wie ästhetische Qualität liefert, kann sich leisten, denen etwas anzubieten. Dreck ist billiger als was Schönes, Geiz ist geil. So lange wir diese Kultur der Bürokraten
haben, wird sich am miesen Image nichts ändern.

Und großformatige Anzeigen-Kampagnen wie die mit dem Konterfei von Roman Herzog – “es muss ein Ruck durch Deutschland gehen”?
So what? Wie lang ist diese Rede her – fünf Jahre, sechs? Da ruckt doch nix mehr.
Herr Spiekermann, Sie haben über Ihre Design-Filialen in den USA die dortige Unternehmenskultur kennen gelernt. Was machen die US-Firmen besser?
Man kann erst einmal relativ locker miteinander reden. Aber wenn’s dann direkt wird und ich die Probleme benenne – so nach dem Motto: euer Kaiser hat ja gar keine Kleider an – dann erschrecken die und halten die Luft an. Intern gibt es in den US-Unternehmen noch viel mehr heiße Luft als bei uns, viel mehr Verhaltenscodes und Sprachregelungen, die haben ja mehr Floskeln als im Barock: “How pleased we are that we are able to …”, also auf gut Deutsch: “Wir freuen uns, dass wir Ihnen zwischen dem Lecken Ihrer Arschbacken auch noch ein Angebot reinschieben dürfen”. Auf solchen Kram kann ich verzichten. Ich sag’ denen: Hier, unser Entwurf, kostet so und so viel.
Im Ergebnis kommt also genauso wenig heraus wie bei den Deutschen.
Nein, der große Unterschied ist nämlich: Die Amis haben eine andere Grundhaltung zu Problemen. Die sagen: Okay, lass’ uns sehen, wie wir’s hinkriegen. Die Deutschen sagen eher: Lass’ uns gucken, wie wir’s verhindern können. Manchmal habe ich nach langen, intensiven Diskussion schon den Satz gehört: “Komisch, mir fällt jetzt gar nichts mehr dagegen ein!” Tja, schade eigentlich, möchte man da sagen; dann lasst es uns doch endlich machen!
Zuletzt waren Sie selbst in der Rolle des Nörglers. Das Logo für die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland haben Sie öffentlich niedergemacht; die Folge war ein Alternativ-Wettbewerb junger Gestalter.
Die Kritik kam erst mal von einem Kollegen aus London, mit dem ich eine Zeit lang in einer Design-Fußballmannschaft gespielt habe, die beste in der ganzen Szene übrigens …
… auf welcher Position?
Mittel-Verteidiger. Ich bin immer am 16-Meter-Raum rumgerannt und den Gegnern notfalls auch mal in die Hacken gegangen. Ich bin nicht gerade der subtilste aller Spieler, aber ich kann ziemlich lange laufen. Egal, aus dieser Mannschaft kam jedenfalls ein Anruf, nachdem das deutsche WM-Logo mit großem Pomp vorgestellt worden war: “Mensch, wir halten euch Deutsche so hoch, wenn’s um Design geht, und ein Land, das den Tiger-Panzer entwickelt hat, macht jetzt so ein blödes Logo.”
Was ist denn so schlecht daran? Sieht doch ganz fröhlich aus.
Das sieht vor allem aus, als ob da sechs, sieben Ideen in ein kleines Logo reingequetscht werden mussten. Da mussten Leute drauf und Lachen drauf, und dann die Farbe Grün für den Fußballrasen und Schwarz-Rot-Gold natürlich auch noch. Man muss sich auf eine Botschaft konzentrieren, entweder Fußball oder Frohsinn oder Deutschland oder Fifa oder 2006. Und dann waren die Gestalter, die das umgesetzt
haben, auch noch handwerklich unfähig. Schauen Sie sich den Schriftzug “WM 2006” an, so eine pseudo-moderne Schrift, das macht man einfach nicht mehr.

Wozu die Aufregung? Ist doch nur ein nettes, kleines Logo.
Eine ästhetische Katastrophe und für unser Land ein riesiger Image-Schaden. So ein Logo macht die Arbeit und das Budget des Goethe-Instituts aus zehn Jahren kaputt.
Die harsche Kritik aus dem Ausland schoss vor allem gegen die fröhliche Ausstrahlung des Logos. “Smiley-Gesichter auf Ecstasy” titelte eine brasilianische Zeitung. Nimmt man es den deutschen Gestaltern übel, wenn sie’s mal lustig probieren wollen?
Ja, wir sind nun mal ein Land der Ingenieure. Wir sind eben sehr gut darin, Porsches und Daimlers und Braungeräte zu bauen, und das prägt auch unseren Stil. Und wenn wir jetzt plötzlich so lustig wie die Briten oder so fröhlich wie die Italiener sein wollen, wirkt das unglaubwürdig. Freunde aus dem Ausland sagen mir jedenfalls: Wir fliegen lieber mit der Lufthansa, wenn’s irgendwie geht – da wissen wir, dass die regelmäßig ihre Schrauben nachziehen.
Sind die Deutschen denn dazu verdammt, immer bei dieser strengen und nüchternen Form zu bleiben? Für immer Bauhaus?
Wir haben sicherlich das Problem, dass in Teilen der Gestalterszene eine protestantische, schwäbische Verkniffenheit herrscht, die spielerische Ansätze geradezu verbietet. Aber mit diesen Design-Stalinisten, die allen Leuten alles genau vorschreiben wollen, habe ich nichts an der Backe.
Sie wollen doch immer hübsch Ordnung halten, wie Ihre Gestaltung für die Berliner Busse und Bahnen zeigt. Ordentliche Schilder überall, klare Schriftzüge, fertig.
Unsere Schilder und Schriften sind auch bunt. Aber sie sind eben auch als Teile eines Systems erkennbar. Damit man erkennt, wie die verschiedenen Teile des Systems zusammengehören – von der Tafel mit den Abfahrzeiten bis zur Farbe der Busse. Es ist aber kein starres System. Ich gebe nur die Grammatik vor, die man braucht, um einander zu verstehen. Aber welche Worte und Sätze man damit bildet, das bleibt offen. Man kann damit Witze erzählen, oder eben klare Anweisungen geben. Das schreibe ich als Gestalter nicht vor. Im übrigen freue ich mich am meisten, wenn man von meiner Gestaltung gar nichts mitkriegt.
Na, na…
Nein, ich find’s am tollsten, wenn Gestaltung einfach nur funktioniert. Wenn sie mich nicht anschreit, wie das in Teilen der Werbung der Fall ist. Ich hasse es, von Plakaten und Zeichen dauernd angebrüllt und vollgequasselt zu werden.