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Von Hollywood lernen

Wie so oft, fielen mir auch diesmal beim Ausmisten der überlaufenden Festplatte einige Texte in die Hände bzw. unter die Maus, die vielleicht auch in einem anderen Zusammenhang lesbar sind. Den folgenden hatte ich 2003 für meine Kolumne in der Zeitschrift form geschrieben. Das Thema der Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen ist heute akuter denn je, deshalb hier die Wiederholung:

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Über technische Dinge wie Software, Datenformate und Speichermedien kann man kaum schreiben, weil jede Zeile überholt sein wird, bevor sie gedruckt ist. Eins aber wissen wir genau: Menschen wollen lesen, in Magazinen blättern, Überschriften überfliegen; sie möchten unterhalten, überrascht, aufgeklärt werden. Wer nur gefahrlos zwei Stunden älter werden will, bleibt beim Fernsehen. Wer mehr will, der liest online, surft: geht ins Internet, wie viele noch sagen. Wo sich vor nicht allzu langer Zeit eine öde Pixelwüste lieblos aufbereiteter Daten erstreckte, ist ein Medium entstanden, das eines unserer Grundbedürfnisse erfüllt, das nach dem Geschichtenerzählen. Heute wird das Storytelling genannt, bedeutet aber nichts anderes als das, was die Gebrüder Grimm schon dem Volke vom Munde abschrieben.

Wir haben das starke Bedürfnis herauszufinden, wie es unseren Zeitgenossen ergeht. Gehen wir ins Kino, weil wir Angst haben dumm zu sterben? Gehen wir in die Oper oder das Theater um unseren Smoking aufzutragen? Lesen wir Bücher, weil wir dafür bezahlt werden? Nein, wir machen es, weil wir wissen wollen, wie andere Leute mit ihrem Leben fertig werden oder an ihm leiden wie wir alle.

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Neue Schafe sind da.

Die neue, dritte englische Version von „Stop Stealing Sheep and learn how to use type properly“ ist nun erhältlich. Die deutsche Ausgabe kann noch dauern, ist aber in Arbeit. Dafür gibt es Sheep 3.0 mit Rabatt beim Verlag:

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Durch die Decke denken

Im Herbst 2012 interviewte mich Thomas Ramge zum Thema Design Thinking. Inzwischen sitze ich am Layout des Buches, das er geschrieben hat mit dem Titel „Durch die Decke denken“. Dabei fand ich den Wortlaut von damals wieder.

Zum Thema „Scrum“ hat mein Kollege Robert Stulle soeben diesen Blogtext veröffentlicht (auf Englisch).

Wann sind Sie zum ersten Mal über den Begriff Design Thinking gestolpert?
Irgendwann Mitte der 90er bat mich Michael Bierut von Pentagram um einen Beitrag zum Thema “Rethinking Design”. Ich korrigierte das auf seinem Fax (!) zu “Redesign Thinking”. Er nahm das als Repro so in sein Buch  auf. Das Buch handelte davon, dass wir als Designer mehr machen können und sollten als nur schöne neue Bilder.

Welche Design-Thinking-Elemente nutzen Sie für Ihre gestalterische Arbeit?
Ich kenne keine vorgegebenen Elemente, weil ich Design Thinking nicht als Lehr- oder Arbeitsmethode kennengelernt habe, sondern weil ich irgendwann gemerkt habe, dass meine Arbeitsweise und mein inhaltlicher Ansatz schon immer das waren, was heute als Design Thinking bezeichnet und damit kategorisiert wird.

In welcher Form ist das hilfreich?
Wir Designer haben die Fähigkeit – also das Talent und die Werkzeuge – Zusammenhänge nicht nur schnell zu erkennen, sondern sie vor allem sichtbar und damit nachvollziehbar zu machen. Diese Fähigkeit dient uns dazu, Prozesse abzubilden und sie in die Zukunft weiterzudenken. Wir können also Ideen nicht nur generieren, sondern auch auf ihre Umsetzung planen. Design Thinking beschreibt demnach, wie und was Designer denken. Es könnte also auch Designer Thinking heißen.

Sie sprechen von „scrummen“ in der Gestaltung. Was ist das? Wie geht das?
Wie beim Scrum im Rugby stellen sich die Mitarbeiter eines Teams (möglichst nicht mehr als sieben) im Kreis auf. Nicht länger als eine Viertelstunde und immer im Stehen wird so der Stand der Projekte diskutiert. Wer ist womit wie weit, was haben wir gestern geschafft, was müssen wir heute schaffen? Wo hakt es, wer braucht Unterstützung, wer ist früher fertig als geplant? In einem Sprint wird immer nur die Arbeit für eine Woche geplant und der Auftraggeber bekommt diese Ergebnisse jede Woche zu sehen. Wenn man neue Ideen und Bilder erzeugen will, kann man nicht Wochen oder gar Monate voraus planen, weil jede neue Idee den Ablauf ändern wird. Also haben wir das große Bild vor Augen, planen aber immer nur die Schritte, die wir vor uns sehen können. Wir sehen das Licht am Ende des dunklen Tunnels und folgen dem Kegel der Taschenlampe auf dem Weg dahin.

Eine Ihrer Arbeitshypthesen zu Arbeit lautet: Wir können heute Projekte zugleich „schnell und tief” umsetzen. Was meinen Sie damit und wo ist die Verbindung zu Design Thinking?
Jeder weiß, dass unsere Arbeit gasförmig ist; sie füllt jedes verfügbare Volumen aus. Wenn ich also vier Wochen Zeit habe, fokussiere ich meine Gedanken erst dann, wenn der Termin droht. Ich bringe also mindestens zwei Wochen damit zu, dem Problem aus dem Wege zu gehen. Zwar kann es nützlich sein, ein Projekt gedanklich mit sich zu tragen, während man an etwas Anderem arbeitet, aber man könnte genauso gut den Druck aufbauen ohne den wir nie etwas erreichen. Denken geht in Lichtgeschwindigkeit und muss nicht warten, bis langwierige Recherchen den Spass und die Spontaneität aus der Sache genommen haben. Die guten Lösungen entstehen immer ganz schnell, allerdings auch nur auf der Basis von Wissen. Das wiederum muss nicht in einer Person residieren, sondern die Sammlung von Wissen zu einem Projekt lässt sich delegieren. Wenn dann alle Personen zusammenkommen, die an einem Projekt verschiedene Aufgaben übernommen haben, entstehen Lösungen sehr schnell, denen es nicht an Tiefe mangelt, weil schon soviel Geist und Energie im Prozess steckt. Was im Umkehrschluss heißt, das diese Methode – wie immer wir sie nennen – nur im Team funktioniert, weil aus mehreren Köpfen mehr entsteht als die Summe der Teile. Tiefe des Denkens und die Zeit, die dafür aufgebracht werden muss, haben demnach nicht unbedingt miteinander zu tun. Dieses Junktim gilt nicht für das Handwerk, wo manche Tätigkeiten einfach nicht zu beschleunigen sind ohne Gefahr für die Qualität des Ergebnisses.

Eigentlich lustig: Ingenieure und Innovationsberater entwickeln in Stanford eine Innovationsmethode, bei der sie sich vieles von klassischen Designern abschauen. Und nun nutzen auch immer mehr Designer die Methode. Ist das auch Ihre Wahrnehmung?
Ja.

Die Promoter von Design Thinking betonen oft seinen wissenschaftlichen Charakter. Warum braucht Kreativität die methodische Zwangsjacke der Wissenschaft?
Wir müssen die Ergebnisse unserer Arbeit verkaufen, sie also auch betriebswirtschaftlich nachvollziehbar und begründbar machen. Da die meisten Auftraggeber nicht in Bildern denken, brauchen sie Begründungen, die ihnen ihre emotionale Reaktion erklärt. Kaum ein Kaufmann oder Ingenieur würde zugeben, dass ihm eine Lösung einfach gut gefällt. Er muss in Zahlen und Tabellen sehen, was unsereins einfach nur richtig findet.

Ist Design Thinking nur ein Hype? Oder haben wir es mit einer echten Innovations-Management-Innovation zu tun, die eine Weile bleiben und auf der anderes aufbauen wird?
Die Fähigkeit, komplexe Systeme und Vorgänge zu visualisieren und damit zu kommunizieren, prädestiniert uns Designer schon immer als Übersetzer zwischen der konstruierten Welt und dem gefühlsgesteuerten Menschen (wir sind evolutionstechnisch immer noch Jäger und Sammler). Design Thinking ist viel älter als der Hype, nur der Name ist neu.

Farbleitsysteme

Performance ist das Kundenmagazin von BASF Flooring. EIn Interview über Leitsystem im Wortlaut:
Brotkrumen im Schilderwald.
Er wurde erst kürzlich mit dem Designpreis der Bundesrepublik Deutschland für sein Lebenswerk ausgezeichnet – zu Recht, denn seine Entwürfe für Schrifttypen und Symbole prägen ein Stück weit das Gesicht unseres Landes. Beispielsweise, wenn er das Erscheinungsbild der Deutschen Bahn aufpoliert oder uns allabendlich in den heute-Nachrichten im ZDF mit aufschlussreichen Piktogrammen komplizierte Sachverhalte erschließt. Erik Spiekermann gilt als Koryphäe auf dem Gebiet der Typografie. Doch neben dieser Leidenschaft beschäftigt er sich auch mit Leit- und Informationssystemen, die die Orientierung innerhalb räumlicher Strukturen erleichtern bzw. ermöglichen.
Performance sprach mit dem Informationsdesigner über Architektur und Orientierung. Continue reading

Achtung

Unter diesem Titel sind bereits etliche Kolumnen im englischen Designmagazin Blueprint erschienen. Da ich zu faul bin, sie alle zu übersetzen, habe ich sie nur im englischen Teil dieses Blogs veröffentlicht. Einfach oben auf den Link drücken.

Achtung Spiekermann

Vor ein paar Wochen hatte ich hier nur den englischen Originaltext einer meiner Kolumnen in Blueprint wiedergegeben. Nun hat ein Kollege, Sebastian Keller, neulich spontan diesen Beitrag ins Deutsche gebracht. Sebastian betreibt ein Blog namens Schriftstellerwerden und ich hatte ihm einen Text geliefert. Es gibt also noch altmodische Tugenden wie Dankbarkeit und Höflichkeit. Hier nun Sebastians Übersetzung (nicht vergessen, dass der Text an ein englisches Publikum gerichtet ist):

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Achtung Spiekermann!

Achtung! ist der Titel meiner monatlichen Kolumne in Blueprint magazine, die ich seit Oktober dort schreibe. Die seltsame Überschrift geht auf das unausrottbare Bild zurück, das die Briten immer noch von uns Deutschen haben: Hacken klackende, Befehle brüllende, Stiefel tragende Blödmänner, wie sie in den alten Kriegsfilmen auftraten. Ich habe in meinen langen Jahren auf der Insel gelernt, damit gelassen umzugehen. Am besten bringt man das Thema als Erster ins Gespräch, dann ist es erledigt. Ich klacke meine Hacken gelegentlich und schnarre mit deutschem Akzent, dann sind alle zufrieden und manchmal ein wenig verlegen. Ich habe diesen Text im September geschrieben, bevor die Finanzkrise (das Wort des Jahres) richtig ins Rollen kam, sonst hätte ich noch härte mit den Leuten ins Gericht gehen können, die von den berüchtigten „unsichtbaren Einkünften“ leben.

Leider habe ich keine Zeit, diesen Text ins Deutsche zu übersetzen. Ich schreibe die Kolumne auf englisch, sonst wäre das kein Problem. Bei der Gelegenheit sollte ich vielleicht die vielen Beiträge für die Zeitschrift form hier publizieren, denn die gibt es in beiden Sprachen.

erik_blueprint
THESE DAYS, even cities and countries are branded like washing powder. When I hear a line like ‘London is the creative capital of Europe,’ (or was it ‘the World’?), the first thing I ask myself is whether this is the result of objective research, a tabloid invention or another government campaign to take peoples’ minds off increasing inflation, prohibitive property prices, terrible traffic and weird weather. Yet there is some truth behind the slogan. I live and work in Berlin, San Francisco and London, and there is something different about the British capital.

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Mr. Univers

adrian80.jpgAm 24. Mai wurde Adrian Frutiger 80 Jahre alt. Für die schweizer Zeitschrift Hochparterre habe ich aus diesem Anlass einen Text geschrieben:

Adrian Frutiger: Mr. Univers

Wenn man, wie ich, in einem Alter ist, in dem man einiges hinter sich hat, wird man oft gefragt, welche Vorbilder man hatte und hat. Die Antwort kann man sich leicht machen und auf Menschen verweisen, die auf den internationalen und nationalen Heldenlisten ganz oben stehen, wie Gandhi oder Albert Schweitzer. Beliebt sind auch die eigenen Eltern, zumindest solange sie noch leben und solche Äußerungen lesen können. Für mich ist das seit über 30 Jahren ganz einfach: 1976 lernte ich Adrian Frutiger kennen. Mein Held ist er heute noch.

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